Linde Burkhardt Texte

Auszug aus der Rede von Bazon Brock anlässlich der Eröffnung am 24.9.2014

2014

Vorab

Immer noch gilt die Arbeit der Designer als eine Art Afterkunst insofern, als sie entweder dem Diktat von Funktionszusammenhängen folgen muß oder andererseits sich den Vorstellungen der Auftraggeber zu unterwerfen hat. Zum Dritten wird der Geltungsanspruch des Design als künstlerisch-gestalterische Arbeit vernachlässigt, weil die Entwürfe in industriell gefertigten Produkten realisiert werden, die als Massenware enden.

Diese drei klassischen Hochmütigkeiten muß man aufgeben, wenn man die Bedeutung akzeptieren will, die dem Design heute tatsächlich zukommt. In unseren Lebensumgebungen gibt es kaum etwas, das nicht aus einem Design-Prozess hervorgegangen wäre. Kein Quadratmeter Stadtraum, Park oder Landschaft, kein Büro, keine Schule, keine Arztpraxis, wo wir uns nach eigenem Mutwillen bewegen dürften; wir werden angeleitet durch die Präsenz der gestalteten Möbel, fachlich gebotenen Installationen, Werkzeuge, sogar der Instrumente der Kommunikation wie Wegeführungen, Verhaltensvorschriften oder Zahlungsmodalitäten, von den Infrastruktureinrichtungen wie Heizung, Kanalisation, Elektrizität, Telefonleitungen und dergleichen ganz zu schweigen. Die Macht des Design, das alle diese Gegebenheiten funktionstüchtig formt, erleben wir in der Erfahrung, dass wir uns in diesen Ensembles mit großem Vertrauen bewegen, obwohl wir im Einzelnen weder die Physik des Elektronenflusses beziehungsweise die Molekülbildung in unterschiedlichsten Materialien verstehen noch gedanklich zu erfassen vermögen, was als System des Rechts, der Medizin oder der sozialen Bindungen in diesen Lebensumgebungen zur Geltung kommt. Wir vertrauen auf das Zusammenspiel der Objektensembles mit den Profis und Klienten; wir kommunizieren mehr oder weniger problemlos, ohne das Geringste von den Sachverhalten zu verstehen. Das eben definiert die ungeheure Bedeutung des Design in der Gegenwart: Die Ausstattung unserer Lebenswelten so zu gestalten, dass wir sie nutzen können, ohne sie in ihrer inneren Funktionslogik verstehen zu müssen. Heute wird von Designern verlangt, sogar hochkomplexe Werkzeuge so zu prägen, dass man sie problemlos bedienen kann, ohne von ihrem inneren Aufbau Kenntnis zu haben geschweige denn das Erkannte zu verstehen.

Insbesondere Zeremonialwissenschaft

Die anspruchsvollsten Herausforderungen an das Design stellen Lebensformen dar, die im Wandel der Zeiten unscharf, ja unbekannt geworden oder vergessen worden sind. Dazu gehören etwa Hochzeitsbräuche, die heute nur noch als Unterhaltungswert einer Partygesellschaft inhaltslos nachgeahmt werden; ebenso sind die Objektensembles der Mitgift, der Aussteuer, der Brautgeschenke, der Opfergaben nur noch Chimären ihrer ursprünglichen Bedeutung. Im öffentlichen Leben fällt denen, die noch Erinnerungen an kulturgeschichtliche Sachverhalte bewahrt haben, besonders peinlich auf, wie kümmerlich nichtssagend etwa die Rituale beim Empfang von Staatsgästen geworden sind. Vor allem auf dem roten Teppich wird deutlich, wie verkrampft und marionettenhaft die Beteiligten in nicht verstandenen Kontexten vom Protokollchef gezogen werden; die Protokollchefs sind ihrerseits ohne jede Kenntnis historischer Beispiele und deswegen einfallslos genug, die Wiederholung der immergleichen Banalitäten als Bewahrung von Tradition auszugeben. Da sollten nun endlich im wahrsten Sinne des Wortes arbeitende Kommunikationsdesigner, die in Tausendschaften jährlich unsere Hochschulen absolvieren, beauftragt werden, das Niveau dieser staatspolitischen Liturgien und Rituale wenigstens dem Stadttheater-Standard anzupassen. Sollte sich irgendein Parlamentarier, Minister, Staatspräsident oder deren Hilfswillige dafür interessieren, was in dieser Hinsicht historisch möglich war, so empfehlen wir einen Blick in die Publikationen zu den „Zeremonialwissenschaften“, insbesondere zur Zeremonialwissenschaft des 18. Jahrhunderts. (Die Herrschaften mögen bedenken, dass die Öffentlichkeit immerhin schon vor Jahrzehnten den „Sonderforschungsbereich Zeremonialwissenschaften“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte.)

Beispielgebend Linde Burkhardt

Linde Burkhardt, deren Arbeit ich seit den siebziger Jahren aus der Nähe beobachten konnte, gehört zu den Beispielgebern des Design, die sich so vernachlässigten Aufgaben wie der Gestaltung von Mitgiften, Staatsgeschenken, Opfergaben widmen. Mit dem Objektensemble in der Pinakothek der Moderne hat sie Resultate ihrer Überlegungen zu einer weiteren, fast vollständig dem öffentlichen Bewußtsein entzogenen Objektklasse vorgestellt, nämlich den Memorialen.

Wenn ich mich richtig erinnere, ist in der jüngeren Vergangenheit nur von Robert Filliou das Thema der Memoriale aufgegriffen worden. Filliou schlug vor, die Deutschen, Holländer, Belgier, Franzosen, Italiener sollten untereinander ihre Kriegsdenkmäler austauschen, zum Beispiel im halbjährlichen Ringverkehr auf mobilen Lafetten.

Hie und da gab es ein paar sinnfällige, pointierte Bildfindungen von Zeichnern und Malern zum Thema Denkmal, unter denen die Großformate von Anselm Kiefer, von Neo Rauch oder Jörg Immendorf die bekanntesten sind. Sie aber intervenieren in Kollektiverfahrungen und vor allem firmieren sie unter dem Schutz-Label der „Kunst“ und nicht des Design.

Seit zumindest die Deutschen nicht mehr gezwungen sind, vor der täglichen Flucht in einen bombensicheren Keller eine Sammlung der erinnerungsträchtigsten Objekte in ein Notköfferchen zu pressen, ist die allgemeine Orientierung auf die Pflicht zur Erinnerung durch Bewahrung von Erinnerungsträgern stark verkümmert. 1977 organisierte ich als Veranstaltung des Berliner Internationalen Design Zentrums, das von François Burkhardt aufgebaut und geleitet wurde, eine Bürgerprozession, in der Individuen öffentlich zeigen sollten, welche die ihnen liebsten und wichtigsten, weil erinnerungsträchtigsten und somit kostbarsten Objekte seien. (http://bazonbrock.de/werke/detail/?id=3166§id=2852)

Linde Burkhardt hat dieses Thema weitergehend verfolgt. Das Objektensemble der Neuen Sammlung zeigt einige der anspruchsvollsten Arbeitsresultate. Sie sind aus der Frage hervorgegangen, was man einer jungen Frau mitgeben würde, die die Heiratspolitik in eine ferne Weltgegend versetzt. Die Ausgangslage ist heute leicht nachempfindbar, wenn junge Europäerinnen ihren Männern in die muslimischen, buddhistischen, hinduistischen Kulturräume folgen oder aus diesen Kulturräumen junge Frauen nach Europa verschickt werden. Was würde man solchen in die Fremde Verwiesenen mitgeben, um die Erinnerungen an ihre Herkunft, das heißt vornehmlich an ihre Heimat lebendig zu halten?

Die Prinzessin von Trapezunt wurde aus politischen Gründen aus Trapezunt am Schwarzen Meer an einen portugiesischen Herrscherhof verschickt. Unter den damals höchst anstrengenden und gefahrvollen Reisebedingungen scheint sie endgültig verloren gegangen zu sein. Der Bräutigam ist zwar durch die ihm vorab zugesandten Effigien, damaligen Passeportraits (Bildnisse und Amulette), für die erwartete Braut entflammt. Er entschließt sich aber unter dynastischem Zwang zu anderweitiger Heirat in der Annahme, daß die Prinzessin sich inzwischen den Meerjungfern angeschlossen haben müßte. Das Drama kann sich jedermann vorstellen, als schließlich die Prinzessin nach jahrelanger Verschollenheit doch in Portugal anlandet.

Die sieben Memoriale, das heißt Stelen der Erinnerung und der Repräsentation von sieben glanzvollen Städten der prinzeßlichen Heimat sollen als Mitgift einerseits für den Reichtum und das Selbstverständnis Trapezunts einstehen und andererseits der Prinzessin in der fernen Welt heimatliche Gefühle vermitteln.

Linde Burkhardt hat in bisher unvergleichlicher Weise, weit über die Ansätze von Mendini und anderen postmodernen Kollegen hinaus, in der Materialwahl (Glas, Holz, Metall, Keramik, Stein), im Formrepertoire und in der Farbgebung Erinnerung symbolisiert. Simuliert wird die affektive Hinwendung zu einem kulturell ausgewiesen Formkanon, der natürlich nur als Verweisung, also als Simulation gemeint sein kann, andererseits aber als Zeichengefüge so attraktiv ist, dass man es nicht als bloße Imagination, sondern vielmehr als Zumutung des Eigenwerts der Objekte verstehen muß. Im 15. Jahrhundert, der ersten Hochblüte des Diktums „ut pittura poeisis“ hat etwa Pisanello das Schicksal der Prinzessin von Trapezunt als Gemälde präsentiert. Deutlich wurde die Unterscheidung zwischen der Erzählung und der künstlerischen Bearbeitung des Stoffes in der pittura, banal gesagt, in der Malerei. Gemeint war aber sehr viel mehr und das galt für alle Renaissance-Künstler und Humanisten. Die Art der Darstellung in Bildern, Objekten, Architekturen, Literatur oder Musik (letzteres erst ab 1600) ist schon Form der Erkenntnis oder des Inhalts oder der Attraktivität des Zeichengefüges. Diese Aufspaltung von pittura = Formen der Darstellung, des Zeigens, der Präsentation, und andererseits der poeisis = der Erkenntnis des Inhalts, des Aufmerksamkeitswertes ging schließlich so weit, dass man, wie in der abstrakten Kunst, die Attraktivität des Zeichengefüges völlig löste von Erkenntnis oder Erzählung oder Inhalt. In jedem Falle machen sich Attraktivität der Darstellungsformen und Attraktivität der Erzählung Konkurrenz. Im Falle von Linde Burkhardt ist das höchstrangige Qualitätskriterium für die Form und ihre Präsentation, dass man die Stelen auch ohne jeden Hinweis auf die Prinzessin von Trapezunt als bemerkenswert wahrnehmen wird.

Besonders wichtig ist es hervorzuheben, dass sich Linde nicht hinter der Leerformel Kunst versteckt, die sich von vornherein jeder Rechtfertigungspflicht entzieht, sondern den Wirkungsanspruch oder den Funktionsanspruch des Ensembles wie bei alltäglichen Gebrauchsgegenständen begründet. In welche Umgebung auch immer diese Stelen gestellt würden, bewiesen sie generell das Kriterium von Lindes gestalterischer Kraft.

Ich bin völlig sicher, dass diese Memoriale nicht nur in den Hütten unseres Alltagslebens, sondern auch in den Palästen hoheitlicher Liturgien und Rituale bestehen können. Ich wette auf jede denkbare Überprüfung etwa in Fernsehberichten, dass Lindes Stelen auf dem roten Teppich der Staatsempfänge sogleich ihre Kraft zur Wandlung der üblichen Begrüßungsphrasen einer fremden Gesandten oder eines Gesandten auf der Bühne Berliner Banalitäten auratisch, überhöhend, sinnstiftend beweisen werden. Welcher Staatsmann könnte es als attraktive Erscheinung mit noch so viel Geklunker mit der Attraktivität der sieben Stelen aufnehmen? Keiner. Das wissen offenbar die Zeremonialagenten: Eine schöne Erklärung für das Elend und die Ohnmacht der Repräsentation des Staates und der Gesellschaft. Es muß bei diesem Elend bleiben, weil sonst dem letzten TV-Betrachter klar würde, wie nichtssagend das ganze Theater ist, selbst im Vergleich zu einem dörflichen Umzug des Schützenkönigs.

Bilder der Ausstellungsstücke